Nach 4.5 Jahren gebe ich die Hundehaltung aus verschiedenen Gründen auf. Weil viel an der Geschichte hängt und schreiben mir immer hilft, teile ich sie hier Stück für Stück – so ehrlich wie ich sie mir eben eingestehen kann.
CN Trauma, Lebensgeschichte, Krankheit, Suizidalität, sexueller Missbrauch
Ich war 19, etwas naiv und optimistisch, als ich nach einem Hund zu suchen begann, den ich als Assistenzhund für mich ausbilden wollte. Ich hatte gerade meinen Lehrvertrag aufgelöst bekommen, weil ich seit 1.5 Jahren nicht mehr mehr als 30% arbeiten konnte. Ich glaubte an vieles, vor allem an Bestimmung, und ich suchte verzweifelt nach meinem Platz auf dieser Welt. Etwas, zum daran festhalten.
Mein Verfahren würde zu diesem Zeitpunkt noch 1.5 Jahre brauchen bis ich das erste Mal meine Rente ausgezahlt kriegen würde. All das wusste ich nicht – ich wusste jedoch, mit Arbeiten ist es erstmal vorbei. Eine Diagnose für meine chronische Erschöpfung gab es nicht. Unfall, Gehirnerschütterung, PTBS, ADHS, Autismus, Bipolar II und Borderline hiess es damals. Es waren alle ein bisschen überfordert mit mir. Vor allem ich. Die Pandemie war in vollem Gange, meine Verlobung lief eher so mässig bis scheisse und mein Freund war genauso depressiv wie ich. Da beide im Ausland wohnhaft waren, sahen wir uns monatelang nicht und wenn dann nur mit der Gefahr einer 1000 Franken Busse oder 3 Tagen Haft. Das Militär patrouillierte die grünen Grenzen eng. Ich war alleine und psychisch sehr, sehr instabil.
Den Kontakt zu meinen Eltern musste ich komplett abbrechen zu der Zeit, denn obwohl mein Vater kurz vor meiner Geburt an ME/CFS erkrankte, war meine Mutter diejenige, die mich am meisten unter Druck setzte und beschämte dafür, das ich mich aus ihrer Sicht nicht genug quälte, um Arbeitsfähig zu bleiben. Das ich im Jahr davor massiven sexuellen Missbrauch erlebt hatte, der den Jenga-Turm meiner Kindheitstraumata endgültig umgestossen hatte, wusste sie nicht.
Heute weiss ich, was ich zu dem Zeitpunkt gebraucht hätte, war kein Problemhund sondern Eltern, die da waren und denen ich vertrauen konnte, das sie mich da durch tragen. Doch aufgrund unserer Familiengeschichte und den Generationstraumata, die wir tragen, gieng das eben nicht. Meine Beziehungen, in denen ich genauso einen Ersatz für meinen Vater als auch ein endlich auf Augenhöhe gesehen werden suchte, konnten meinen Unterstützungsbedarf logischerweise auch nicht decken. Denn beide hatten ihre eigenen Teller überladen voll mit Depression. Mein Verlobter hatte seinen Kinderwunsch im Vordergrund stehen und hat sich eine moderne, antifeministische Familie gewünscht, in der die Frau die Verantwortung für die Kinder trägt und zudem noch finanziell unabhängig ist. Da er aber nicht mal für einen Menschen – sich selbst – ausreichend da sein konnte, war von unserer Beziehung zu dem Zeitpunkt als ich den Hund holte nicht mehr viel übrig. Die Öffnung der Beziehung gegenüber meinem Freund fühlt sich im Nachhinein betrachtet wie ein Abschieben an – damit jemand anderes die gefühlte Verantwortung für mich übernimmt und er schlussendlich ohne Schuldgefühle gehen kann.
Ich fragte bei einem Züchter an, da ich nach einem bereits erwachsenen Hund suchte mit dem ich direkt die Ausbildung anfangen konnte. Dieser hatte per Zufall genau zwei gut jährige, super soziale Rüden die auf ihr Zuhause warteten! Ich konnte mein Glück kaum glauben und fuhr natürlich sobald wie möglich dahin, um die beiden kennen zu lernen. Auf einer Wiese trafen wir uns dann. Socki, der kleine Charmeur, klebte sofort an mir während sein Bruder Runden raste. Wie gesagt, ich war jung, instabil, anfällig für allerlei Esoterik die ich über die Jahre von Partnern gefüttert bekommen hatte und wartete verzweifelt auf mein Schicksal. Der Züchter half auch fleissig mit mich darin zu bestätigen, wie gut der Hund doch zu mir passen würde und wie geeignet er sei für Assistenzhundearbeit.
Spoiler: er war in der Tat der Antichrist der Assistenzhunde. Bald schon würde ich wieder alleine in den öffentlichen Verkehrsmitteln reisen können, denn alles war entspannter als mit diesem Hund die Wohnung zu verlassen.
Am nächsten Wochenende zog Socki also von einer Rudelhaltung auf einem abgelegenen Bauernhof in eine Altbauwohnung in einem grünen Stadtviertel voller Kinder und vor allem voller Hunde. Was könnte da schon schief gehen. Aber das schreib ich in kleinen Happen weiter nieder.