Mai 14, 2025

Troubled Water

CN Selbsthass, Selbstschädigendes- und -sabotierendes Verhalten, Sex, Dysphorie

Heute bin ich exakt 2 Jahre auf Testosteron. Seither konnte ich nur zu sehr wenigen Gelegenheiten ein paar Tränen verdrücken (C’s Hochzeit!) und richtig weinen schon gar nicht. Aber grade habe ich mich mit meinen Zwangsgedanken, die heute wie ausm Nix wieder da waren, beschäftigt, und wie es so oft passiert wenn starke Emotionen aufkommen, ist mir ein Lied eingefallen. Manchmal denke ich, ich kann komplexe Emotionen nur in Musik begreifen. Heute fühle ich Bridge over troubled water. Und als ich es mir dann angehört hatte und anfangen wollte, diesen Text zu schreiben, ging es plötzlich. Ich habe das erste Mal mich schluchzen gehört. Meine Stimme, nicht der Schatten den sie vor der Transition war, der sie heute noch manchmal ist wenn ich unsicher bin. Es hat sich so richtig angefühlt und wie ein Geschenk, dass ich genau heute endlich wieder heulen konnte.

Ich weiss schon so lange, dass ich an meiner Selbstliebe und meinem Selbstwertgefühl arbeiten muss. Aber man kann sich eben nicht so lange hassen bis man sich liebt. Je mehr man es erzwingen versucht, desto weniger geht es oft. Aber jetzt, grade, hatte ich die Kapazität bewusst wahrzunehmen dass diese Zwangsgedanken einem mich-bestrafen Impuls entspringen. Der da ist, weil ich glaube einen Fehler gemacht zu haben, nicht gut genug gewesen zu sein, und ich in Folge dessen gute Dinge nicht verdiene und sie folglich sabotieren muss, um Gerechtigkeit wieder herzustellen.

Dieser Text geht richtig an den Kern. Unschöne Themen. Ich weiss seit Jahren ich bin trans. Grade ist mir klar geworden, dass ich mich auch darin oft hasse und fürchte. Gegenüber Leuten, die mich kennen, wirke ich was mein trans sein angeht selbstsicher, bestimmt und klar was meine politische Haltung angeht und ich kann bei Ämtern, Krankenhäusern und sonstwo pöbeln gehen, bis richtig gegendert wird. Aber manchmal wird mir klar, wie ich trotzdem überzeugt bin, dass ich niemanden finden werde der mich liebt (und nicht selbst auch trans ist) und mich wirklich als mich sieht. Wird mir klar wie ich Angst vor medizinischen Transitionsschritten habe, weil ich damit sexualisier- und objektifizierbare Attribute verliere. So lange war ich überzeugt, dass mein Körper als Objekt und Dienste die ich damit leiste, das einzige ist, was ich anderen Menschen zu geben habe. Ich habe gefühlt jeden Menschen mit Penis, der mir emotional nahe war, unterbewusst mit Sex versucht dafür zu entschädigen, dass er sich mich „antut“.

Ich weiss, ich bin ace. Ich habe keine Attraktion zu den Körpern anderer Menschen, selbst wenn ich einen „crush“ auf sie habe. Ob mehr als ein oberflächliches beeindruckt sein wirklich geht, bezweifle ich, denn ich bin vermutlich auch aro. Aber das macht alles unterbewusst Angst, denn dann kann ich ja keine Menschen mehr „bezahlen“ und an mich binden. Also versuche ich es immer wieder nicht zu sein. Es ist schwierig, es zu lassen. Also versuche ich wieder zu glauben, dass ich es gar nicht will, und deshalb auch nicht überprüfen muss ob ich es noch kann. Weil ich einfach so ausgebrannt bin von Hoffnung haben und enttäuscht werden, weil ich wieder in die gleiche Falle tapse (weil meine unaufgearbeitete Prägung mich immer exakt zu den gleichen Problemen hinzieht und die Menschen, die sie repräsentieren, wie die Rettung und Lösung von allem erscheinen lässt.)

Und schon sehe ich wieder ein Muster. Wie oft ich teste, ob ich es doch ohne Hilfe oder Hilfsmittel schaffe. Unabhängigkeit beweisen, überall, von allem und allen. Medikamente die unendliche Erleichterung schaffen absetzen versuchen so schnell es geht, um die Kontrolle zu haben, die Sicherheit, dass ich es ohne schaffe. Bloss nichts brauchen, denn was wenn es weggeht oder mir weggenommen wird, was ich ja richtig fände weil ich es eh nicht „verdiene“. Ich lebe so viel in dieser Angst. Ich mag leckere Dinge nicht aufessen, denn dann sind sie weg, plus habe ich es mir doch gar nicht verdient sie zu haben. Ich mag neue Dinge nicht probieren, denn was wenn ich sie mag, sie mir wichtig werden, und ich dann keinen Zugang mehr dazu habe. Wie oft ich unter starken Schmerzen noch weiter und weiter arbeite. Kurz vorm Umkippen doch noch weiter mache, doch fertig werden muss. Aber ich bin chronisch krank, und das kann ich damit nicht ändern, ich kann es nurnoch schlimmer machen und mir jede Freude nehmen, die ich in fitterem Zustand an der Tätigkeit gehabt hätte. Ich kann mich durch einen Plan prügeln, es durchziehen, und ich habe nichts davon, ausser Kontrolle. Und manchmal, manchmal habe ich das Gefühl testen zu müssen, ob ich es aushalten würde wieder als Frau zu leben. Und dass ich das nicht kann, es einfach nicht ertrage, es mich sofort in tiefe Dysphorie stürzt, ist bedrohlich. Ich habe die Kontrolle nicht. Ich bin trans. Andere Menschen sehen es oft, und manchmal akzeptieren sie es, und oft ignorieren sie es und misgendern mich, manchmal absichtlich, manchmal nicht. Es ist wie eine offene Wunde in die immer Dreck reinkommen kann sobald ich in der Gesellschaft bin und das ist bedrohlich. Ich fühle mich abhängig von der Achtsamkeit, Reflektionsfähigkeit und der politischen Meinung des Gegenübers (als ob die Anerkennung von Menschenrechten irgendwas mit Politik zu tun hätte, lol).

Aber heute ist etwas wichtiges passiert. Ich habe emotional verstanden, dass ich die schlimmen Dinge, die meine Zwangsgedanken mir oder meinen Sachen anzutun vorschlagen, wirklich nicht verdiene. Das ich das nicht möchte. Ich konnte das erste Mal wirklich Distanz dazu aufbauen und gleichzeitig war es unglaublich nahe und intensiv und reell, was für Impulse da waren. Es mag lächerlich klingen. Aber dass ich darüber traurig sein konnte, meine wichtigen Dinge oder alternativ auch gleich mich über Bord der Fähre werfen zu woll-sollen, statt in eine Art Trance zu verfallen und mich mit dem Rücken an eine Wand gepresst auf den Boden zu setzen um es nicht zu tun, ist ein riesiger Schritt.
Dass ich stattdessen Tonaufnahmen von verschiedenen Songs vor, während und nach dem Stimmbruch hören konnte und gemerkt habe ja, das bin jetzt ich, der singt, ich bilde mir das nicht nur ein, wenn ich nicht grad Angst vor sozialer Interaktion habe, klinge ich eindeutlich männlich. Und morgen färbe ich vielleicht einfach meinen Bart und die Augenbrauen wieder dunkler damit mein Gesicht weniger weich und sanft wirkt – hellrotblond zu sein ist ein Fluch als trans-masc Mensch. Und die fast-kleinwüchsigkeit hilft halt auch nicht gross, aber Wanderstiefel, Hut und Lederjacke richten einiges.

Dass ich Liebe und Mitgefühl von mir selber ertragen kann, wenn auch nur jetzt grad für einen Moment, ist viel. Vielleicht noch nicht von anderen. Aber das kann vielleicht noch werden. Meistens ist Liebe, Mitgefühl und alles nette eben unaushaltbar, auch wenn ich danach suche wie nach dem heiligen Gral. Aber grad war es okay. Grad konnte ich an meiner Seite sein.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert