Neben mir aufgeschlagen liegt ein Buch, alt, abgewetzt, ein schwarzer Deckel und blassgrüner Stoff am Rücken. Die Wolfsfrau. Wenige Tage nach meinem letzten Blogpost lag ich im Wald auf dem Boden, Wesen hat mir die Einleitung – der Gesang der Knochen – vorgelesen, und ich habe geschrien und gezuckt zwischen den Worten. Die Erinnerung an das gelesene hat sich teils so klar in meine Gedächtnis eingebrannt wie kaum andere Worte das jeh taten.
In meinem Wohnzimmer steht nun ein Cembalo. Ein so klobiges und doch so elegantes Gebilde, ein Überbleibsel aus der DDR – „da ist noch guter alter DDR-Plastik verbaut!“ verkündete der Musiklehrer des Gymnasiums begeistert als er uns half, die Beine abzuschrauben und das Instrument auf einem alten Mattenwagen aus der Schule und in meinen kleinen gelben Lieferwagen zu manövrieren. Dieses Cembalo, und alles andere was sich im Haus verändert hat seither, das ist die Liebe nach der ich gesucht habe, so lange Zeit. Sie hat mich überfallen als Antwort auf meine Frage, die ich zu Beltane gestellt habe – dem Universum? Den Geistern? Mir? Es spielt keine Rolle.
„Ist es Zeit, mir einen Ort zu suchen und alleine auszuwandern und alleine dort zu bleiben, mir etwas aufzubauen, mich zurück zu ziehen von der Welt?“
Nein. Aber der Hilfeschrei darin wurde erhört. Es wird anders sein. Ich weiss, das ich mehr will. Ich will mehr als alles was ich bisher hatte, bekommen habe, und mehr als ich so einfach kriege. Aber deshalb will ich nicht aufhören, es zu wollen. Wie sehr habe ich mich die letzten Jahre bemüht, nur zu wollen, was ich auch realistisch erreichen kann? Alles, nur um nicht enttäuscht zu werden. Ist doch das beste für mich. Oder?
Ich habe ein sehr zentrales Problem; ich will mit Menschen und anderen Tieren zusammen sein, aber ich halte das und mich darin kaum aus und zerbiege mich teils bis zum zerbrechen. Diesen Umstand will ich ändern. Das ist, womit ich mich gerade auf ganzer Linie beschäftige. Wie kann ich bei mir bleiben, zu mir stehen, mich nicht verlassen – gerade nicht auf andere. Das, was in mir so verkümmert ist, was ich unterdrückt und zusammen gepfercht habe um angenommen zu werden von anderen, zu betrauern und langsam wird es wieder leben, wird es wieder sein. Das wilde, was bezähmt wurde, domestiziert, und doch nichts von seiner Ursprünglichkeit verloren hat. Ich habe nichts von mir wahrhaftig verloren, aber es wird Geduld brauchen, Zeit, und viel Ruhe – in mir ruhen.
Die Träume machen mir noch Angst. Die Mauern in meinem Kopf sind noch so stark auf Überleben ausgerichtet. Etwas in mir bemerkt fast spöttisch, wie ironisch es doch ist das oft genau diejenigen, die behaupten gar nicht leben zu wollen so viel unternehmen, Vorkehrungen treffen und sich Sicherheit schaffen, nichts wagen, was ihr Überleben in irgendeiner Weise gefährden könnte.
Es gibt Dinge, die ich nicht mehr in meinem Leben haben möchte. Bei einigen kann ich mich Schrittweise darauf zu bewegen, bei vielem gibt es aber nur ein ganz oder gar nicht, keine halben Sachen. Bei vielem ist ein starker Kampf in mir zwischen dem, was gerne in der Rolle des Schwachen, bedürftigen bleiben mag, was sich Sicherheit wünscht, Beständigkeit, all die Werte die mir als wichtig vermittelt wurden von der Familie, in der ich mich so fremd fühlte mit meinen tiefen Welten und weiten Träumen aus anderen Welten und früheren Zeiten.
Und dem, was mich so fremd machte. Die Tiefe, die ich mitbringe. Die tiefen Wurzeln, die genau wissen, was ich brauche, worauf es ankommt, und die sich eigentlich nie täuschen liessen von diesen Welten von Gut und Böse. Das was instinktiv, stur und uneinsichtig wollte.
Ach, ich wollte erst eine Liste machen mit Dingen die ich will, und Dingen die ich loslassen will. Aber dann ist mir klar geworden, dass ich darin wieder nur Sicherheit suche, versuche zu erfinden wer ich sein werde, statt es auf mich zukommen zu lassen. Dass diese Art Plan mich einschränken wird in meiner Entfaltung.
Ja, es gibt Tagträume in mir. Alle möglichen. Von Eseln, Ziegen, Schäferwagen, Planwagen, Schweden, Rumänien, Ostdeutschland, Frankreich, dem Tessin und zuletzt so schmerzhaft es ist, immer noch von Schottland. Ich mag keinen davon in die Realität ziehen und ich mag mich nicht mehr an sie ankern. Es geht um Sicherheit dabei und ich würde mich in genau dieser verlieren und genauso eingekerkert fühlen wie ich es in diesem Haus hier tat. Erst, seit ich nicht mehr bereit bin alles zu tun um dieses Zuhause zu behalten – auch wenn es ein tolles Zuhause ist – erst seit ich bereit bin diese Angst zu haben, es aber trotzdem noch zu wollen, und es trotzdem zu riskieren zu leben statt mich anzupassen, seither ist da wieder etwas anderes und das Haus strahlt Wärme aus statt die Kälte einer winterlichen Burg mit geschlossener Zugbrücke. Eine Burg und ein Gefängnis sind manchmal nicht so verschieden, wenn man aus der Burg nicht raus geht aus Angst, man könne sie dadurch verlieren.
Ich will mich weder ruhig stellen, noch zufrieden geben mit dem, was ich realistisch bekommen kann oder was ich gerade erreiche. Ich werde mir aber auch nicht mehr mehr ergaunern als mir wirklich gegeben wird – weder in Beziehungen zu anderen Menschen, noch von meinem Körper. Mehr zu wollen bedeutet nicht unausweichlich im Mangel zu leben. Ich wusste immer, wer und was ich bin und nicht bin. Ich wollte es oft ändern, habe versucht mich zu überzeugen, das es doch einfach wäre wie alle anderen zu sein und zu wollen, was sie wollen. Aber ich will es nicht. Ich will mehr. Vom Leben, vom sein, von mir, und von allen, die mir begegnen – und gleichzeitig nichts. Ich sehne mich nach einem Rudel. Und nach der Stille in mir.