Februar 4, 2025

Das Universum hat sich nix bei gedacht

Es geht in dem Beitrag um Aberglauben, Schuldgefühle, Realitätsabgleich, Verarbeitung, gesunden Umgang mit Spiritualität finden, Entdeckung meiner DIS
Triggerwarnung Erwähnung von Unfall, Suizidalität und Suizid jeweils vor dem betroffenen Absatz nochmal gekennzeichnet

Ich bin nicht religiös oder gläubig aufgezogen worden. Meine Grosseltern sind bereits aus der Kirche ausgetreten, als meine Mutter klein war, und mein Vater hat zwar eine katholische Familie, hat selber aber nie geglaubt und die Kirche verachtet. Meine Eltern haben immer klar gestellt, es gibt nichts grösseres, keine höheren Mächte.

Heute kämpfe ich darum, mein Leben nicht vom Aberglauben an Schicksal und Zeichen bestimmen zu lassen. Es fing damit an, dass ich mit 10 wöchentlich mehrere Migränen hatte und meine Eltern um „regelmässigen Schulbesuch“ kämpften. Meine Kinderärztin traf intuitiv einen guten Entscheid – statt immer stärkere Schmerzmittel zu verschreiben, schickte sie mich zu einer Traumatherapeutin (ausgebildet nach Somantic Experience, sprich mit Fokus auf Körperarbeit). Diese Frau würde bald darauf unsere ganze Familie über Jahre hinweg begleiten und unterstützen.

Triggerwarnung Suizid

Mich, mit meiner Suizidalität (von der die Kinderärztin nicht mal gewusst hatte, aber echt, guter Entscheid von ihr!). Meine Eltern im Umgang damit und beim Managen der gesamten Familienkonflikte. Meine Schwester mit ihren jahrelangen Mobbingerfahrungen. Meinen Vater über Jahre beim verarbeiten seiner Kindheitstraumata. Uns alle nach dem Suizid meines Cousins. Ohne sie wäre ich vielleicht selbst nicht mehr da, auf jeden Fall wäre ich nicht bei der Familie geblieben sondern beim Jugendamt gelandet. Ich denke tatsächlich nicht, dass dadurch mein Leben besser verlaufen wäre auch wenn ich das mir einige Jahre lang eingeredet habe.

Triggerwarnung aus

Jedenfalls war sie mehr als nur das. Sie ist eine Schamanin – nicht eine, die in einem Seminar voll weisser kultureller Aneignung viele tolle Dinge gelernt hat und jetzt munter an Menschen rumheilpraktiziert.
Eine, die selbst in indigenen Völkern gelebt und deren uralte Praktiken respektvoll über Jahre hinweg gelernt hat. Selbst einen schwierigen Weg gegangen ist. Sie ist sehr bodenständig und klar, nicht wie die meisten Esoteriker*innen, die mir bisher begegnet sind. Und ihre Traumatherapeutische Expertise befähigt sie, fundierte Arbeit zu leisten mit psychisch kranken und instabilen Menschen. Die Welten, die sie mir gezeigt hat, was ich selber gefühlt habe, mit ihr besprochen habe, ist was mich „gerettet“ hat. Womit ich mich einigen konnte, weiter zu machen und überhaupt erst zu glauben, dass ich auf diese Welt gehöre.

CN Unfall, Sturz

Einige Jahre verlief das gut, bis ich Freundschaft schloss mit einem Klassenkameraden, der heute ein ausgewachsener Verschwörungstheoretiker ist und schon damals jeglichen Realitätsbezug verloren hatte. Ich unternahm waghalsige Exkursionen mit ihm durch alte Wälder und hörte ihm zu und glaubte. Eines Tages stürzte ich bei einer davon eine Klippe runter. Warum kletterten wir ungesichert eine Klippe herunter, fragt ihr euch? Ach, weil nicht-sichtbare Wesen ihm den Weg dort lang gezeigt hatten (mir und meiner enormen Höhenangst hatten sie das spannenderweise nicht getraut vorzuschlagen). Ich landete mit der Wirbelsäule ca. 10 Zentimeter neben einem Haufen spitzer Steine und bis auf einen Muskelriss und geprellte Rippen ist nicht viel passiert. Wenn es eine höhere Macht gibt, dann hat sie mir dort eine ordentliche Schelle gegeben, aufzuwachen. Trotzdem: meine seitherigen Rückenschmerzen sind bis heute eine der grössten Einschränkungen in meinem Leben.

Ich wachte nicht auf. Obwohl die Schamanin ordentlich gegenwirkte und mich immer wieder und wieder auf den Teppich runter holte, war der Sog ins „Übernatürliche“ zu stark, die Sehnsucht in mir nach Bestimmung zu hoch. Es dauerte Jahre, ein verrücktes Polykül mit meiner besten Freundin und einen Bruch zwischen uns beiden bis wir uns beide von ihm trennten, um wirklich aufzuwachen. Zu sehen, dass dieser junge Mensch einerseits selber grosse Probleme hatte, andererseits unsere Glaubwilligkeit bewusst für Manipulation zu seinen Gunsten genutzt hatte. Zu dem Zeitpunkt wurde meine DIS auch sichtbar – für uns war die Erklärung damals, das ich schlichtweg mehrere Seelen hatte, die sich diesen Körper teilen, etwas ganz magisches, denn die „andere“ Seele, die kam von einer anderen Welt!
Es war viel Arbeit, alle Anteile so zu integrieren dass wir mittlerweile nicht nur glauben sondern wissen, dass wir alle eins sind, zusammen gehören. Keine tragische Geschichte mit einer höheren Aufgabe auf diesem Planeten. Einfach ein Haufen Traumata und Neurodivergenz.

Ich verstehe heute wie gross diese Faszination war. Durch die sehr reellen Erfahrungen die ich angeleitet durch die Schamanin machen durfte war ich bereit, viel zu glauben. Das ich auf jemanden stossen würde, der das so ausnutzt und vergiftet und mich vom Pfad abbringt, ist nicht ihr Schuld. Ohne ihre teils sehr klaren Ansagen wäre das wohl auch noch deutlich schlimmer geworden. Kaum war ich den Typen los, verliebte ich mich auf einem Hackerevent ausgerechnet! in den Sohn eines Heilpraktikers. Immer wieder hatte ich ein ungutes Gefühl, auch wenn wir schöne spirituelle Erlebnisse miteinander hatten und ich darin auch viel verarbeiten konnte. Irgendwann ist der Vater dann aber gekippt, hat mir mit seiner spirituellen Wahrnehmung als „Evidenz“ die Schuld fürs gescheiterte Studium und die Depression seines Sohnes zugeschrieben und die Trennung angeordnet. Ich konnte meinen Freund auf den Erdboden zurück holen, aber der Verrat sass tief – denn er hatte mir das ungefiltert weiter erzählt, als „Realität“ die er auch glaubte. Wenige Monate Streit später trennte er sich dann doch von mir.

Es brauchte noch 2 schlechte Erfahrungen mit Esoteriker*innen, die mir unglaublich nahe gingen, bis ich mich klar davon abwandte. Bis heute suche ich einen gesunden Umgang mit „schrödingers Glauben“, wie ich es manchmal nenne. In jeder Beziehung prägt mich meine Kindheit – so glaube ich über mich immernoch oft und teils unumstösslich, was ich als Kleinkind mitbekommen habe. Gefährlich ist das für mich vor allem, weil ich glaube alles schlechte, was mir passiert, ist „für mich bestimmt“. „Musste passieren“ um mich auf den richtigen Weg zu bringen (aber welchen? Hallo? Schicksal, ich bin autistisch, ich brauch da GENAUERE INSTRUKTIONEN). Und der Glauben, das Menschen die nicht aus Boshaftigkeit Böses tun, es trotzdem verdienen dass ihnen Leid wiederfährt, ist unglaublich toxisch. Meine chronische Krankheit, meine Behinderung, all die Traumata – logisch weiss ich das ich nichts davon „brauchte“ um ein besserer Mensch zu werden. Im Gegenteil, ich muss viel Arbeit leisten, um den Schaden zu reparieren, den all diese Dinge in meine Psyche geschlagen haben.

Ich bin Autistisch. Ich mag Gewissheit. Und manchmal such ich mir Gewissheit, wo sie logisch gesehen nicht da sein kann. Aber Überzeugungen und Erklärungen geben Sicherheit. Ich verstehe warum ich so anfällig bin dafür. Mittlerweile kann ich immer früher erkennen, wenn andere (oder ich selber) meine Grenzen nicht wahren und Realität neu definieren. Ich verstehe auch, warum andere Leute das tun und kann die Ambivalenz aushalten, einerseits zu wissen das intuitive, feinfühlige Sinne menschlich und normal sind. Dass „mehr“ existiert, aber auch durch wie viele Gesellschaftlich und durch individuelle Erfahrungen geprägte Filter das läuft, bevor es aus irgendeinem Wesen rauskommt oder ins Bewusstsein gelangt. Dass ich eine starke Erdung und feste Regeln brauche, um Dinge nicht fehlzudeuten und mehr rein zu interpretieren, und ich mich besser einfach abgrenze von den Wahrnehmungen, wenn ich das nicht sicher ausreichend kann.

Aber hin und wieder verlier ich diese Erdung. Auch dieser Aberglauben, der oft hochkommt. Die Gedanken „was für eine Energie ich in mir haben und aussenden muss“ damit etwas gelingt oder klappt was völlig ausser meiner Kontrolle liegt. Das ich ein Zeichen darin sehe, wenn mein Auto unerwartet unbezahlbar schrottig ist und nicht mehr durch die Prüfung kommt. Statt… einfach zu sehen dass ich übers Ohr gehauen wurde beim Kauf, und zwar so perfide dass nichtmal mein Vater mit Mechanikerausbildung es gemerkt hatte. Das heisst nicht, das ich es nicht verdiene, trotz meiner Erkrankung reisen zu können. Oder das meine Aufgabe hier liegt und ich mich wieder ums Pony kümmern muss und die Kaninchen doch behalten trotz der Rückenschmerzen. Alles Dinge, die ich mir richtig ausm Kopf schütteln musste.

Heute habe ich einen neuen, alten Bus gekauft. Ein Teil von mir sagt, dass ich jetzt was gutes gefunden habe als Ausgleich für den letzten Griff ins Klo, und weil ich es eben doch „verdiene“ Reisen zu können aber mir ein neuer Bus helfen wird, beim Reisen nicht immer an den Hund zu denken der da immer mit drinn gelebt hatte und jetzt nicht mehr an meiner Seite ist.
Ein anderer Teil sagt einfach: Hey, ich bin älter und hab mehr Erfahrung und habe auf meine Intuition gehört. Ob es sich auszahlen wird, wird sich zeigen. Aber ich bestimme, wo mein Leben hingeht, und ich habe mich keinen Zeichen und keinem Schicksal zu fügen. Und ich bestimme, die Welt zu sehen so gut es eben geht trotz meiner Einschränkungen.

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