Oktober 9, 2025

His face looked just like mine

CN Suiziddrohungen von Elternteil, Trauma, Krankheit, unerfüllter Kinderwunsch

Ich erinnere mich an den ersten Moment in dem ich aufgab und einfach schrie als würde ich erstochen werden. Mitten in der Diskussion mit meinen Eltern. Ich lag auf der Seite auf der Couch, hielt mir die Ohren zu und schrie. Ein erstes, wirklich lautes, ich kann nicht, keine Worte darin, nur die Schreie, immer und immer wieder. Ich war das „stille“ Kind, mit dem man gesittet stundenlang die schlimmsten Diskussionen haben konnte ohne das es laut wurde. Aber da einmal nicht. Es gab meinem Vater den Rest und er verzog sich nachdem ich mit Benzodiazepinen meiner Schwester „beruhigt“ wurde mit Ankündigung sich zu erschiessen in sein Büro, wo auch die Waffen lagen.

Es war der Moment wo etwas in mir völlig zerbrach. Der Mensch, den ich für unfassbar stark gehalten habe, dessen Wutausbrüche ich unbewusst immer als gerechtfertigt angesehen habe, teils sogar genau darin Halt gesucht habe, dessen Fassade hatte einen Riss gezeigt und darunter war genauso viel unerträglicher Schmerz wie in mir. Über diese Familie, darüber wie der Streit nie endet, die Angst voreinander, die Verteidigung, die Angriffe. Über das keinen Halt finden und nicht weiter wissen.

Schulden uns unsere Eltern Stärke? Unfehlbare? Schulden sie uns Halt? Liebe? Beständigkeit? Irgendwas? Ich glaube wir können zu starken, fähigen Menschen heranwachsen wenn wir all das nicht haben. Aber unter unserem rauen Fell wird immer ein ganz verletzlicher Kern sein, der sich noch immer so sehnlichst Halt wünscht. Ich hätte es beinahe genauso getan wie mein Vater – so verletzt und voller Schmerz und Verzweiflung sein, das er sich eines Tages gegen seinen Instinkt wandte und sagte „doch, ich will Kinder. Es wird nicht gleich werden wie in meiner Familie.“ Es wurde gleich wie in seiner Familie. Mit all seiner Wut und Autorität als Familienoberhaupt konnte er es nicht verhindern und so wurde es zum Albtraum statt zum Paradies der Heilung und Geborgenheit. Für uns alle, für so viele Jahre.

Ich war heiss ersehnt. Meine Mutter wollte so sehr ein zweites Kind, vielleicht gar ein drittes, doch nach mehreren Fehlgeburten bin dann ich aufgetaucht, fast zwei Jahre später als sie wollte, aber immerhin. Doch da war schon alles anders, und mein Vater schwer krank. Und ich! Ich war so anders. Das Baby das sich nicht trösten liess, nicht von ihr. Das aufhörte zu schreien, wenn sie mich völlig entnervt in meine Wiege „knallte“, wie sie es selbst formulierte in ihren Erzählungen. Warum habe ich mich nie willkommen gefühlt und nie an ihre Liebe geglaubt, selbst als ich so winzig klein war? Was ist denn geschehen, brachte ich meine Einsamkeit schon auf diesen Planeten?

Später tat ich alles, um dazu zu gehören, doch ich konnte nicht aus meiner Haut, aus meiner Natur. Ich wollte nicht der Engel sein, der meine Schwester war. Das liebste Kind – solang sie nicht im Overload war. Besonders weh tat es, wie meine Liebe daran gemessen wurde, wie sehr ich mich anpasste. Bald war für mich klar das ich am wenigsten belastend war, wenn ich nichts brauchte, und das meine Mutter sehr überlastet war durch meine Schwester. So nahm das Unheil seinen Lauf. Irgendwann begann ich mir die Geschichte zu erzählen, das mich niemand verstände, es gar keinen Wert hätte, mich zu öffnen oder Hilfe zu suchen. Das eh alles meine Schuld war, ich hätte es doch voraus ahnen können, es besser wissen können was geschehen würde. Die Scham, etwas nicht zu können, war zu gross, also versuchte ich gar nicht erst, was ich nicht garantiert schaffen würde und zwar besser als die meisten anderen. Wenn ich besser als alle anderen war, dann staunte meine Mutter und freute sich über ihr begabtes, das einfache, Kind.

Dieser Moment, als ich da auf der Couch lag in der seltsamen Nebelwolke, die das Temesta erzeugte, und hörte wie meine Mutter nur den Namen meines Vaters sagte, und „Nein“. Ruhig aber eindringlich. Und er dann ins Büro ging. Der Moment wo ich ihn das erste Mal weinen sah. Das änderte so viel in mir. Ich begriff, das ich nicht nur wütend war, sondern das es mir weh tat, ich sehr verzweifelt war. Und ich begriff, dass es meinem Vater wohl genau gleich ging. Das auch er nicht der souveräne, weise, überlegene reife Mann war den er immer zum besten gab, sondern genauso ein verzweifeltes Kind das versucht gut genug zu sein und es nicht mehr erträgt, das Geschrei jeden Tag, sich nie sicher fühlen können davor, niemals, nicht mal im Schlaf.

But as the enemy came close, the thing that hurt me most
As I saw that his face looked just like mine
John Brown by Bob Dylan

Und da ertrug ich es auch nicht mehr, meinen Schmerz zu verbergen. Von da an stritt ich anders in dieser Familie. Ich hörte auf, meiner Schwester absichtlich Angst zu machen, damit sie mich zu sehr fürchtete um mir etwas anzutun. Ich versuchte es anders. Ich weinte. Vor meiner Familie. Ich versuchte meine Wiederstände aufzugeben. Ich versuchte sogar, mir wirklich helfen zu lassen. Mittlerweile frage ich mich – war es weil ich festgestellt hatte, das all mein für mich Einstehen mir nichts brachte, sie meinen Schmerz nie sahen, nur meine Wut? Gleichzeitig war es so viel zu viel, als sie den Schmerz plötzlich sahen. Ach, natürlich sahen sie meinen Schmerz auch in meiner Wut. Sie sahen nur nicht, wie verzweifelt er war, wie gross. Das ich ihn nicht fühlen konnte weil er so gross war, mich nur wehren konnte, wenn er wieder angestossen wurde, damit er mich nicht verschlingt, ganz alleine, denn ich war ganz alleine, ich konnte ihn ja nicht zeigen. Ein einziges Mal habe ich es getan, und es hat beinahe ein Leben gekostet. Das darfst du nicht wieder wagen, flüsterte etwas in mir. Du bist zu weit gegangen.

Das Vertrauen in den unumstösslichen Pfosten, den grössten Sturkopf meiner Welt, der der immer weiter wusste und nie aufgab, war gebrochen. Und das in mich? Grade glaube ich, das es dort auch zerbrach. Dass dies der Moment war, in dem ich wahrlich begann, das Wilde in mir zu verbergen. Es gab andere Phasen wieder, wo ich sehr wehrhaft war, Jahre nachdem ich ausgezogen wurde, als ich mal wieder den Kontakt abbrechen musste weil eben diese Erinnerungen zu schmerzhaft waren, es erneut geschah, er wieder mit dem Suizid drohte in einem Streit mit mir. Seither ist dieser Glaube, das ich Zerstörerisch bin, das ich jeden Menschen in den psychischen Ruin treibe, der es versucht länger oder näher bei mir auszuhalten, tief verankert, ja gar zementiert in mir. Es ist schrecklich, einen solchen Schmerz auszulösen, das ein anderer Mensch lieber sterben will als ihn weiter zu ertragen. Beim zweiten Mal waren es meine Vorwürfe, das war schrecklich, aber nicht so schrecklich wie beim ersten Mal, als es der Moment war wo ich aufhörte mit den Vorwürfen und einfach meinen Schmerz offenbarte.

Es war der erste Moment seit fast einem Jahrzehnt, in dem ich nach Hilfe fragte, in dem ich mich wirklich zeigte, anvertraute, mich verletzlich machte. In dem ich vertraut hatte verdammt! Vertraut, das meine Eltern mich halten würden, meine Not sehen würden. Und da hatte ich die Bestätigung, dass es nicht ging. Das mich keiner halten mag. Nicht der stärkste Mensch, den ich kannte, ja mir vorstellen konnte mit meinen grad mal 13, 14 Jahren. Es war vielleicht der Moment, in dem meine Hoffnung auf Hilfe endgültig starb und in dem ich begann, andere Narrative zu schreiben in meinem Kopf. Narrative, die mir bis heute sagen, was für eine Schuld entsteht dabei, wenn ich jemanden belaste mit meinen Ängsten, meinem Schmerz, meinem Leid. Dass es mir gut zu gehen hat. Das ich andere tragen muss. Keine Hilfe brauchen darf. Die brechen allesamt unter meiner Tyrannei zusammen. Vielleicht bin ich deshalb so feindselig und angriffig, damit sie eine Chance haben sich zu wehren. Vielleicht will ich sie bewahren davor das sie zerbrechen daran wenn sie einfach nur sehen, dass und wie sehr mir weh tut, was geschieht.

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