Ich kenne eine Wesensansammlung, die recht weit weg lebt von vielem, was der Gesellschaft normal erscheint. Wir haben eine Zeit lang in der Nähe voneinander gewohnt. Sie sind sehr scheu und misstrauisch, anderen Menschen kommen sie manchmal zerstörerisch oder gefährlich vor. Für uns sind es ganz spezielle Wesen, die uns sehr Erden und deren Gedankenwelt faszinierend, einschüchternd, abgründig, unendlich weit und losgelöst ist, ganz sanft, ganz heftig. Es lässt sich schwer beschreiben. Ich habe vor wenigen Menschen so viel Respekt und gleichzeitig so viel Mitgefühl.
Heute habe ich eine Nachricht von den Wesen bekommen, die uns erst kurz defensiv hat werden lassen, bis ich aufgehört habe, sie zu lesen wie wenn sie von durchschnittlichen Menschen käme. Als ich sie in den Kontext der Gedankenwelt dieser Wesen gesetzt habe, hat sie sich nicht mehr bedrohlich angefühlt und bei mir auf einmal Klarheit geschaffen, was viele meiner Probleme angeht. Komischerweise fühle ich mich so viel besser mit meiner Krankheit gerade, seit die Wesen mir geschrieben haben, dass sie mir nicht gute Besserung oder so wünschen wollen, weil sich etwas in ihnen ganz doll sträubt dagegen Krankheit als etwas invasives, feindliches, zu vernichtendes wahrzunehmen.
Erst schlugen die Eugeniker-Warnglocken an in uns. Aber nein. Dahinter steckt in einer sehr Zivilisationsfeindlichen Wahrnehmung keine Eugenik. Viel eher Kritik an der Vorherrschaft der Gesunden.
Natürlich kämpfe ich mit dem Autonomieverlust. Aber, warum ist der ein solches Problem? Natürlich kann ich nicht die Dinge tun, die mir viel bedeuten würden, aber warum hängt mein Wohlbefinden, meine Identität, mein Glück so sehr daran, ob und was und wie viel ich tun kann?
Wenn wir nicht in einer zutiefst ableistischen, menschenfeindlichen Leistungsgesellschaft stecken würden, in patriarchalem Kapitalismus, der uns alle fortlaufend und für immer bedroht – wie würde ich mich dann fühlen, mit meiner Erkrankung?
Ich habe so viel Schmerz und Leid ertragen in meinem Leben bisher, das tatsächlich körperliche ist so ein winziger Teil davon. Und ich würde behaupten, dass ohne das Medical und Illness/Disability related Trauma, das ich mit mir rumtrage, das zu 90% der Gesellschaft geschuldet ist und nicht dem, das ich körperlich durchmachte, meine Einschränkungen schlichtweg keine wären, die ich als feindlich und fehlerhaft wahrnehmen würde.
Die Menschen sind das Gräuel hier. Und es ist so schrecklich, weil gäbe es für die Menschheit keine Möglichkeit, den Umgang mit kranken und behinderten Menschen zu verändern – würde es wirklich daran scheitern, dass niemand sich anders entscheiden, sich für Transformation zur Verminderung von Leid zu entscheiden kann – dann wäre das in Ordnung, so wie es ist.
Aber sie alle könnten sich entscheiden. Wir leben in einem gigantonomischen Hirngespinst aus völlig unnötigen Existenzängsten und Nöten und Bedrohungen, und jeder hat zu viel Angst, um aufzuhören daran zu glauben. Denn das müssten wir alle gleichzeitig versuchen. Mit jedem Knoten in dem Netz, der neu geknüpft wird, klettern wir höher, müssten tiefer fallen, würden wir das Netz endlich zerfetzen.
Wann können wir dieses Netz aus Erhabenheit, Absicherung durch Überlegenheit, Erfolg und Macht ersetzen durch ein Netz aus Solidarität, dass uns tatsächlich alle trägt, weil wir darin so sicher gebunden sind, wie wir alle es brauchen, um uns jeglicher Angst und Bedrohung gelassen stellen zu können?
Ich weiss, was ich in diesem Leben tun will. Ich will beginnen und darum kämpfen, dieses neue Netz zu knüpfen, nicht nur für mich und dich, für uns alle. Und mich Stück für Stück aus dem alten Netz lösen, mitreissen an Ressourcen, was ich kann, denn ich weiss, unten fängt mich dieses neue Netz auf und heisst mich willkommen, in der sichersten Unsicherheit, die ich je erfahren könnte.