CN Grooming, sexueller Missbrauch, Trauma, Gewalt gegen Kinder
Oft denke ich darüber nach, warum immer noch so viele vor allem weiblich gegenderte junge Leute in die Grooming-Falle tappen. Viel ältere Freunde haben. Teils 13, 14, 15 jährige, zusammen mit 18-20 jährigen. Später mit 18, 19 sind es teils Männer über 30. Ich sehe nicht in all ihre Köpfe, aber ich kann die Gesellschaftlichen Misstände benennen, die mich mit 17 in eine sehr eklige und sehr gefährliche Situation gebracht haben mit einem ü30 Mann, der serienmässig junge, psychisch kranke Frauen in Abhängigkeiten zu sich gezogen und dann sexuell ausgenutzt und missbraucht hat. Ich weiss wie lange ich daran zu knabbern hatte. Weiss, es war der letzte Tropfen, der das Fass zum überlaufen und das führen von einem normalen Leben, meiner Ausbildung und normalen Beziehungen für mich verunmöglicht hat.
Grund Nr. 1: Väter.
Die emotionale Dysregulation, die er in meiner Kindheit an den Tag legte und die klare Schuldverteilung an uns Kinder für seine Wutausbrüche, die Aussicht, dass das enden würde wenn ich nur gut genug wäre und aufhörte zu protestieren und zu streiten. Aufhörte, für meine Bedürfnisse und Grenzen einzustehen. Die Aussicht, dann liebenswerter zu sein für ihn, das bessere Kind, das geliebte Kind. Das rücksichtslose einfordern von Respekt, wenn nötig mit körperlicher Gewalt.
Der Grundstein war geschaffen dafür, dass ich mich unterdrücken und ausnutzen lasse. Dass ich daran glaube, dass jemand der laut genug schreit entscheiden kann, was recht und unrecht ist, dass es natürliche Autorität gibt der ich mich unterwerfen sollte wenn ich nicht verletzt werden will. Dass meine Grenzen und Bedürfnisse gegenüber denen dieser Menschen weniger wert sind, unangebracht sind. Dass ich ums Wohlwollen dieser Menschen kämpfen muss, denn nur wenn ich genug gefalle erfahre ich Schutz statt Strafe und Wut, wenn etwas passiert.
Grund Nr. 2: Der Druck, erwachsen zu wirken
Kinder bekommen in unserer Gesellschaft, immer mehr auf Leistung getrimmt, vor allem mit dass es für sie um eines geht: möglichst schnell kein Kind mehr zu sein. Fast alles, wofür Kinder gelobt, gefördert und anerkannt werden, sind Fähigkeiten und Eigenschaften, die sie mehr erwachsen machen. Kinder erkennen sehr schnell und effektiv, wann sie mehr Respekt erfahren, und vor allem bei Gleichaltrigen geht die Gewichtung von sozialer Macht gegenüber körperlicher Überlegenheit irgendwann enorm hoch. Genau da kommen dann die ganzen Patriarchalen Werthierarchien ins Spiel: Wer „Herr“ seiner Emotionen ist, diese nur kalkuliert und präzise Dosiert zum Ausdruck seines Missfallens zeigt oder gezielt zum gewinnen von Anhängern für seine Sache, dessen Meinung wird oft am stärksten gewichtet bzw. an dem wird sich orientiert. Emotionale Unzugänglichkeit, die mysteriöse Überlegenheit und Unabhängigkeit, sind Dinge die das Nervensystem von fast jedem Menschen aktivieren, der irgendwie mit Angst und Strafe erzogen wurde. Und die Grundlage für Mobbing ist geschaffen. Emotionale Zugänglichkeit und Ausdruck dieser, Konflikt- und Kompromissbereitschaft, Offenheit, Lächeln – das waren die Gründe, für die mehrere Mädchen von meiner Oberstufe gemobbt wurden.
Grund Nr. 3: Sexualität als gesellschaftlicher Masstab für Reife
Mittlerweile weiss ich, ich bin aceflux oder demisexuell. Lange wusste ich es nicht, vor allem als ich mit 14 mein erstes Mal Sex hatte (immerhin waren wir fast gleichaltrig). Grade in einer Phase, wo Unabhängigkeit von den Eltern eine wichtige Rolle spielt, ist es für so viele junge Menschen viel leichter, sich Hals über Kopf in Dinge zu stürzen, Selbstsicherheit und klaren Willen vorzugaukeln – sich selbst und anderen gegenüber – und zu tun, was als normal gilt. Denn es ist ja normal, das zu wollen. Ich musste so viel älter werden, um mit der Unsicherheit umgehen zu können, sich damit auseinander zu setzen, dass ich eben fast alles was „normal“ ist, nicht authentisch wollte. Die Absenz von Sexualität, egal aus welchem Grund, wird noch immer pathologisiert, belächelt und nicht ernst genommen. Acefeindlichkeit ist ein massives Problem und eine ernsthafte Gefahr für viele junge Menschen, egal wo und ob diese sich auf dem Allo-zu-Asexualitäts-Spektrum befinden.
Während in der Gesellschaft sexuelle Aktivität für männlich gegenderte Menschen leider immernoch mit Können und Überlegenheit verknüpft wird, geht die Verküpfung für weiblich gegenderte Menschen hingegen Richtung Wert und Reife der Person. Sich von diesen widerlichen Gesellschaftsnormen abzugrenzen braucht Mut, viel Reflektion und eine gesunde Beziehung zu sich selbst. Die meisten Teenager haben die Ressourcen für all das nicht. Aus dieser Unsicherheit heraus ergibt sich ein natürlicher Sog Richtung ältere Partner*innen. Das führt mich zu…
Grund Nr. 4: der unerfüllte, verzweifelte Wunsch nach Autonomie, Respekt, Anerkennung und Augenhöhe
Für Kinder in einem gewissen Alter sind Leute die erwachsener als sie, aber noch nicht „so richtig“ erwachsen sind, oft die spannendsten Interaktionspartner, von denen sie sich am meisten Augenhöhe und Anerkennung wünschen oder sie nur dort als möglich ansehen. Die Hoffnung haben, nicht als Kinder abgewertet zu werden.
Wir müssen uns als erwachsene Menschen fragen, wie diese Dynamik so stark wird. Aus meiner Sicht haben wir nur eine Chance, das Groomingproblem in den Griff zu bekommen, wenn wir diese Machtposition aushebeln können. Das geht nur mit selbstbewussten Kindern und Jugendlichen, die sich ernst genommen fühlen, die nicht schon einen unglaublichen Frust auf alles und jedes haben. Die nicht nur dem als erwachsen gesehen werden hinterher hechten weil es der einzige Weg ist, wie ihnen auf Augenhöhe begegnet wird. Ohne Gesamtgesellschaftlichen, queerfeministischen Wandel haben wir keine Chance, diese jungen Menschen effektiv im grossen Stil vor Missbrauch zu bewahren. Und das macht mir Angst, denn dieser Wandel wird von viel zu vielen alten weissen Männern, die vor unserer Unterdrückung profitieren, aufgehalten wo es nur geht.
Je älter ich werde – und 23 ist wahrlich noch nicht alt – desto weniger fühle ich mich bereit für Dinge, zu denen ich ohne Nachzudenken sofort Ja gesagt hätte als ich 14, 16, 18 war. Growing up was not a trap, it slowly enables me to see traps for what they are as I walk into them. Und ich weiss, wie sehr ich damals im Krieg mit mir, der Welt, meinem ganzen Umfeld war, und wie man mir echt nix hätte sagen können. Ich wünschte, ich wäre sicher genug gewesen, einfach noch ein Kind zu sein, nicht alles selber besser wissen zu müssen. Wünschte, ich hätte mich damals genug gesehen gefühlt um mich selber sehen zu können statt nur ein Bild aufrecht zu erhalten und verzweifelt eine Rolle zu spielen.
Oder um es in Bob Dylan’s Worten auszudrücken: Ah, but I was so much older then, I’m younger than that now.