Januar 23, 2024

Dissoziation und Hundetraining

Seit Jahren hadere ich mich vielen Fragen zum Hundetraining, der Bindung zwischen Hund und Mensch und wie Dissoziation und Trauma darauf Einfluss nehmen. Genauso offen sind die Fragen um Trainingsphilosophien: Über Rangordnung und Dominanz? Nur über positive Verstärkung und Management? Beides?

Heute sind mir ein paar Dinge klar geworden. Hunde spiegeln uns auch Dissoziation. Hunde, die souverän geführt werden sind teils in der Lage, selbst sehr resilient zu werden. Es gibt aber auch die Gruselmomente wenn man Hunde sieht, die einfach nichts mehr selbsständig tun. Und zu extrem ruhigen Tieren, die sehr resilient alles erdulden und alles geforderte sofort und bereitwillig liefern, wissen wir aus der Parelli-Ecke im Reitsport eines: es ist erlernte Hilflosigkeit. Diese ist eine Traumareaktion.

Traumatisierte Menschen können oft Hunde nicht souverän führen. Ich zum Beispiel! Und ich bin nicht alleine, sehr vielen hochsensiblen Menschen geht es so, auch wenn sie nicht so komplexe Traumageschichten vorweisen können. Aber manchmal bin ich in einem Zustand, in dem es plötzlich absurd gut geht. Dann ist der Hund wie ausgewechselt. Meine Gedanken sind leer. Ruhig. Nichts löst mehr Emotionen aus. Es ist immer nach sehr, sehr starken Triggern.

Ich bin nicht resilient. Ich bin so weit dissoziiert, dass ich nicht mehr auf Gefahren und auf Trigger reagiere. Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich in dem Zustand Erfahrungen traumatisch abspeichern könnte würde etwas schlimmes geschehen. Und das ist: erlernte Hilflosigkeit. Völlige Gleichgültigkeit emotional, nur noch rational und sehr ruhig nachdenken was getan werden muss. Nicht mehr als nötig tun. Es ist gruselig. Wenn man weiss was für ein bunter, lebendiger Mensch ich sonst bin, dann sieht man, dass das keinesfalls ein erstrebenswerter Zustand sein kann, gerade nicht für den Alltag. Warum sollte ich das also für meinen Hund wollen?

Ich weiss nicht wo die Grenze liegt zwischen Resilienz und Dissoziation zum Grad erlernter Hilflosigkeit. Ich weiss dass der Weg zur erlernten Hilflosigkeit nicht schön ist. Ohne Leid und die Machtlosigkeit, sich dagegen zu wehren, führt kein Weg da hin. Und ich weiss, in dieser Hilflosigkeit, diesem aufgegebenen Zustand, da existiert kein wirkliches Ich mehr. Keine Motivation, irgendetwas zu tun. Keine Emotion. Ich glaube, wir sind auf dieser Welt zum fühlen. Wahrnehmung – innen wie aussen – und Verarbeitung von diesen Reizen ist was uns lebendig macht, was uns von Maschinen unterscheidet. Das wir nicht nur Erinnerungen als Fakten speichern, sondern dazu Gefühle haben.

Warum sind es immer cis Männer, die teils im Handumdrehen Hunde oder Pferde ruhig und gehorsam kriegen? Ich denke, die männliche Sozialisierung in dieser Gesellschaft fördert dieses emotionale Abschalten im Namen der Resilienz/Souveräntität/Männlichkeit enorm. Wenn der Deckel fest genug sitzt, dann hält er unter Umständen ein Leben lang. Ist das ein erfülltes Leben? Ich denke es ist ein deutlich weniger leidvolles Leben. Wenn nichts einen aus der Ruhe bringt, weil nichts emotionales mehr passiert, dann muss man auch nichts regulieren. Aber wo Schatten sind, strahlt auch das Licht heller

Ich weiss, ich will meine Beziehungen nicht auf Traumareaktionen aufbauen. Wären wir beide stets in dieser tiefen Dissoziation, da wo sich nichts mehr gefährlich anfühlt, dann hätten Socki und ich so viel Ruhe in unserem Leben. Ich könnte vermutlich Lohnarbeiten. Aber die emotionale Arbeit, die dazu führt, meine Traumata aufzuarbeiten, die führt dazu dass dieser Zustand seltener wird, dass ich mehr reagiere aber auch diverser. Es führt zu Gefühlen und zur Erkenntnis, dass diese auch sein sollen, mir etwas mitteilen, die beachtet werden wollen. Wenn sich selbst Zuhören der Weg zur Heilung ist, wöllte ich dann dass mein Hund in einem Zustand lebt, in dem Stillstand herrscht?

Manchmal sind Socki und ich unerträglich lebendig. Unerträglich fühlend. Es ist viel zu viel. Zu heftig.
Manchmal sind wir beide so weit dissoziiert, dass nur noch Ruhe herrscht. Es ist leer. Es ist die Leere.
Manchmal sind wir ruhig, konzentriert, achten auf unsere Grenzen, verbunden, und dann erleben wir wahrhaft schönes, das wir beide geniessen können.
Die Leere ist verlockend, wenn das Leben zu laut ist. Aber die Erfüllung, die liegt für uns leider in der anstrengendsten Mitte, die ich mir vorstellen kann.

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